Hallo Herr Prof. Dr. Eisert, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen genommen haben. Stellen Sie sich doch bitte einmal vor.
Das Vergnügen ist auf meiner Seite. Ich bin Professor an der Freien Universität Berlin, seit 2011. Vorher war ich auch Professor in Potsdam und Lecturer - das ist eine Art Assistenzprofessor - am Imperial College London. Darüber hinaus bin ich mit dem Heinrich-Hertz-Institut und dem Helmholtz-Zentrum Berlin affiliiert. Studiert habe ich in den USA und in Freiburg.
Ich bin Theoretiker, also “Trockenschwimmer”. Seit etwa 1900 hat es sich bewährt, dass Physiker entweder Experimente machen oder Theorien auskochen. Das liegt daran, dass Experimente schwierig geworden sind und Theorien sehr mathematisch, und diese Arbeitsteilung hat sich bewährt. Dabei ist es so, dass ich - auch wenn ich recht mathematisch denke - oft pragmatisch motiviert bin und auch sehr viel mit Experimenten und gerne mit Experimentalkolleginnen und -kollegen zu tun habe.
Ich bin Wissenschaftler der Quanteninformation der frühen Stunde und habe auf dem Gebiet auch bereits promoviert. So gesehen bin ich ein nicht allzu alter “Veteran des Feldes”.
Können Sie kurz Ihren Hintergrund in der Quanten-Vielteilchentheorie, Quanten-Informationstheorie sowie der Quantenoptik erläutern? Wie sind Sie auf diese Forschungsgebiete aufmerksam geworden, und was hat Sie dazu veranlasst, sich damit schlussendlich zu befassen?
Mich hat die Quantenmechanik schon früh fasziniert, eigentlich gleich, nachdem ich mit ihr in Kontakt kam. Mich sprach ihre mathematische Schönheit einerseits an, und die tiefen Aussagen über die Naturbeschreibung - und gleichermaßen schien sie mir wenig intuitiv. Dinge können in verschiedenen Zuständen gleichzeitig sein, die Messung verändert das Objekt, es gibt den absoluten Zufall. Das fand ich spannend.
Als ich dann über Quanteninformation lernte - einem Feld, in dem Grundlagenfragen mit denen von moderner Technologieentwicklung zusammenkamen, war eine große Liebe geboren. Man kann fragen, was die Welt in ihren Grundfesten zusammenhält, nicht zu weit entfernt von philosophischen Fragen. Und gleichzeitig über Zukunftstechnologien nachdenken.
Ich sehe diese beiden Themen gewissermaßen als eine Sache: Für mich sind Quantenrechner besonders kontrollierte Vielteilchensysteme. Und Vielteilchensysteme, besonders unkontrollierte Quantenrechner. Da ist einiges an Wahrheit an diesen Gedanken. Und diese zeigen auch, warum das Mittelfeld so spannend ist. Für Leute, die so methodisch arbeiten wie wir, ist das attraktiv.
Sie haben Anfang letzten Jahres einen ERC Advanced Grant für Forschung zu Quantencomputern erhalten. Welches Projekt gehen Sie damit spezifisch an?
Ich möchte verstehen, wo genau die Grenze verläuft zwischen der klassischen und der Quantenphysik. Bis wohin können Quantenrechner noch klassisch effizient mit Hochleistungsrechnern simuliert werden, weil sie in der Praxis zu verrauscht und fehlerhaft sind. Ab wann geht das nicht mehr, und wo setzen dann echte Quantenvorteile ein? Für mich ist das der dritte ERC Grant und es war natürlich eine große Ehre, solch einen Preis zu gewinnen.
Was sind die Hauptziele Ihrer Forschung, und welche potenziellen Anwendungen sehen Sie für Ihre Erkenntnisse?
Ich möchte verstehen, wozu Quantenrechner gut sind. Was sie wirklich können. Welche praktischen Anwendungen gibt es, und was kann man darüber sagen, präzise, rigoros und ohne Hype. Und ich will Phasen der Materie verstehen.
Quantentechnologien sind in den letzten Jahren ein viel diskutiertes Thema. Wie wichtig ist die Quantenphysik Ihrer Meinung nach für die Gestaltung zukünftiger Technologien und wissenschaftlicher Durchbrüche?
Sie ist ja jetzt schon sehr wichtig. In der ersten Quantenrevolution wurden die Grundlagen geschaffen für Halbleiter wie Transistoren und Laser - Dinge, die heute in fast jedem High-Tech-Produkt sind. Nun sind Anwendungen in Quantenrechnern, Quantensimulatoren, der Metrologie und der sicheren Kommunikation auf dem Tisch.
Ich selber habe mich viel mit der Frage beschäftigt, welche Anwendungen es rechnerischer Art geben kann, die über akademische Kontexte hinausgehen. Hier standen Fragen des Machine Learnings und des Optimierens im Vordergrund, aber auch der Simulation. In jedem dieser Bereiche hatten wir schöne Erfolge, konnten etwa in den ersten beiden Bereichen Quantenvorteile zeigen, was für das Feld von Bedeutung ist. Vieles davon wird erst in zehn Jahren anwendbar sein, aber es ist in der Natur von Zukunftstechnologien, dass man ein wenig nach vorne sehen muss. Und in letzterem neue Anwendungen in der Simulation von exotischen Situationen von Quantenfeldern ausloten, wie etwa solchen, die an die allgemeine Relativitätstheorie erinnern - in Untersuchungen, die bereits jetzt möglich und interessant sind.
Welche Herausforderungen und Chancen bestehen darin, Quantenkonzepte in praktische Anwendungen umzusetzen?
Manche wie etwa die der abhörsicheren Kommunikation sind fast marktreif. Auch Anwendungen der Metrologie, also der Lehre der genauen Messung, sind naheliegend. Quantenrechnen und -simulation sind schwieriger, aber vielleicht auch spannender. Eine Kernfrage ist die, welche neuen Anwendungen es gibt, die nicht nur von konzeptueller, sondern auch industriell praktischer Relevanz sind. Dann ist die Frage, inwieweit Fehler wirklich ein Problem sind. Es gibt Ideen, was man mit verrauschten Quantenrechnern machen kann. Es gibt einige Hinweise, dass Fehlerkorrektur nötig sein wird, was dann allerdings mit Überhängen an nötigen Ressourcen einhergeht. Die Situation der Wissenschaftslandschaft ist gerade ungeheuer spannend. Es gibt auch ein paar praktische Herausforderungen, die darin bestehen, Gelder anzuwerben oder Talente zu finden, aber das ist nichts, was man nicht überwinden kann.
Berlin hat als Zentrum für Quantenforschung immer mehr Anerkennung erfahren. Wie fördert das Berliner Ökosystem Fortschritte auf diesem Gebiet, und welche einzigartigen Vorteile bietet die Stadt für Forscher wie Sie?
Berlin ist in mehrfacher Hinsicht ein wissenschaftliches Zentrum. Zunächst einmal ist es ein wunderbarer Forschungsstandort mit einer grossen Zahl an klugen Köpfen. Dann gibt es auch einige Formate, die das Berliner Ökosystem unterstützen. Die Einstein Research Unit on Quantum Devices fördert im Rahmen der Exzellenzinitiative das Thema. Es kommt auch beim DFG-Exzellenzcluster MATH+ vor. Allen voran fördert der Berliner Senat das Ökosystem im Rahmen von Berlin Quantum.
Wie trägt die Berlin Quantum Alliance zur Zusammenarbeit in der Quantenforschung bei?
Tatsächlich heißt die Initiative nun Berlin Quantum, um eine Verwechslung mit der Quantum Alliance zu vermeiden, dem Verbund der Exzellenzcluster in Deutschland, deren Mitglied wir auch sind. Berlin Quantum fördert Grundlagenforschung, was in diesem Gebiet nach wie vor extrem wichtig ist - es handelt sich nicht um fertige Technologien, die nur umgesetzt werden müssen. Aber eben auch die Schnittstelle in die Welt der Startups und der Industrie. Berlin ist auch reich gesegnet mit außeruniversitären Instituten, die hier ihren Beitrag leisten.
Wie schätzen Sie die Positionierung Deutschlands im Vergleich zu anderen Ländern in Bezug auf die Quantenforschung und Entwicklung ein? Wie sieht es mit internationalen Kooperationen aus?
Deutschland ist auf diesem Feld international hervorragend aufgestellt und in manchen Untergebieten in einer Rolle der Technologieführerschaft, etwa im Bereich der Quantensimulation. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Bundesregierung unlängst zwei Milliarden Euro für das Feld ausgab, sondern auch mit viel Stamina und einer langen Tradition im Feld. Deutschland ist auch im europäischen Rahmen sehr aktiv und sichtbar und nimmt eine wichtige Rolle, etwa im europäischen Quantum Flagship ein. Aber auch die Vernetzung mit Nordamerika, Asien und Australien ist intensiv und eng.
Wie sehen Sie die zukünftigen Entwicklungen oder Trends in der experimentellen Quantenphysik? Wie stellen Sie sich die Landschaft der Quantentechnologien in den nächsten zehn Jahren vor, und welche Durchbrüche erhoffen Sie sich?
Die jüngste Geschichte des Feldes hat gezeigt, dass die Entwicklung oft sprunghaft und disruptiv ist. Die Idee der Quantenrechner ist ja nicht neu: Schon in den 80ern dachten Feynman, Deutsch und Benioff laut darüber nach, ob sich ganz neuartige Rechner mit Quantensystemen realisieren ließen. Die theoretische Bombe platzte Mitte der 90er, als mit dem Shor-Algorithmus ein Algorithmus vorgestellt wurde, der praktisch relevant ist, und der effizient ein Problem wichtiges lösen kann, das klassisch nicht effizient gelöst werden kann. Dies war extrem stimulierend als theoretische Entwicklung. Quantensimulatoren gibt es in der Tat auch schon länger.
Aber großskalige Quantenrechner wurden erst in den letzten fünf Jahren gebaut. Das gibt eine extrem spannende Dynamik. Diese Rechner sind noch nicht perfekt und haben hunderte, und noch nicht tausende, Quantenbits. Aber solche Geräte waren bis vor Kurzem noch Zukunftsmusik. Eine wichtige Rolle wird spielen, ob es gelingt, Fehler, die unvermeidlich sind, zu korrigieren. Gerade vor ein paar Wochen wurden überraschend starke Ergebnisse vorgeführt, die die logische Manipulation von 48 fehlerkorrigierten Quantenbits gezeigt haben. Das hat alle wahnsinnig überrascht, und es hat gezeigt, dass die Entwicklung auch viel schneller gehen kann als erwartet.
Es gibt gute Gründe, optimistisch zu sein und zu bleiben. Man muss ein wenig dem Hype aus dem Weg gehen - den es zweifellos in einem derartigen Zukunftsfeld auch gibt - und ruhig seine gute Arbeit machen. Wie ich gerne sage, Quantenrechnen ist auch dann interessant, wenn man nur Dinge sagt, die auch wahr sind.
Vielen Dank für das Gespräch.